Arbeit und Kritik. Versuche alternativer Lebenspraktiken im Neoliberalismus – von Silvia Weißengruber

“Ein permanentes Abwägen von Fokussieren und Oszillieren war nötig, um den persönlichen Halt sowie die Reflexion nicht zu verlieren. Besonders trat hierbei die prinzipielle Frage nach gerechtfertigten Werten auf, weswegen ich betonen möchte, dass die hier vorliegende Arbeit nur eine Perspektive und eine Auslegung von vielen Möglichkeiten ist.”

Diese Worte sind fast das Ende des Buches von Silvia Weißengruber. Sie erarbeitet sich die Begriffe, die heute genutzt werden und hat für ihre Arbeit vier Personen befragt, die versuchen, mehr als nur zu arbeiten.

Was ist eigentlich Arbeit? Was bedeutet Neoliberalismus? Woher kommt die neue Armut?

Sehr schön zeigt sie uns, wie die Lohnarbeit zur neuen gesellschaftlichen Lebensphilosophie in den westlichen Industrieländern wurde.

Da sie auch ihr eigenes Leben und ihr eigenes Denken mit in das Buch holt, kommen auch Reflexionen zu dem, was politisch alternativ diskutiert wird.

Sie weist auf die neue Philosophie hin, die jede Art von gesellschaftlicher Tätigkeit kapitalisiert hat.

Kultur und Soziales als Arbeit sind dabei meistens außerordentlich schlecht bezahlt, während das Verdienen mit dieser Arbeit zur Profitmaximierung führen kann ganz im Stil des Neoliberalismus, der Ausbeutung als gut ansieht und Armut als persönliches Schicksal.

Sie denkt auch die Gedanken zu Ende.

Ihr Hinweis, daß das bedingungslose Grundeinkommen eigentlich die Einführung des totalen Unternehmertums sei, finde ich faszinierend. Wenn man an dieser Stelle weiterdenkt, dann wäre es erstmals so, daß die Marktwirtschaft sozial abgesichert eine unglaubliche Kraft entfalten könnte. Bisher gibt es ja keine Marktwirtschaft sondern Monopole und Oligopole. Und die Freiberufler sind meistens, wenn sie nicht unter privilegierte Regelungen für Rechtsanwälte, Notare oder Architekten fallen, schlecht bezahlte und gut ausgebildete Menschen, die nur dazu dienen, ungesichert ausgebeutet zu werden. Genau das wäre auf der Grundlage eines bedingungslosen Grundeinkommens anders.

Diese Debatte sprengt den Rahmen des Buches, ist aber eine Folge der Frage nach alternativen Lebenspraktiken im Neoliberalismus. Frau Weißengruber sagt im, im Neoliberalismus. Widerstand findet nur noch im Stillen statt, im Suchen der Nische und nicht mehr in der Überwindung des Systems.

“Somit hat sich der offizielle Arbeitsmarkt zu einem nahezu totalitären Herrschaftsinstrument mit diffusen Machtverhältnissen entwickelt.”

Dieser Satz zeigt bezogen auf Deutschland die neue Macht. Die Symbole der neuen Macht sind die Jobcenter mit ihren Türmen und ihrer Sozialfolter mit der Verarmungsregel von Hartz 4 etc., die versuchen, aus den letzten ehrlichen und fleissigen Menschen Zombies zu machen.

Das steht so nicht im Buch sondern wurde von mir konkretisiert.

“Momente der Transformation des Arbeitsethos” will Frau Weißengruber aufzeigen. Das gelingt ihr.

Dieses Buch regt zum Nachdenken an und ist anders, weil die Autorin sich als Teil des Geschehens und ihrer Arbeit begreift.

Das fasziniert mich besonders.

Sie hat keine anonyme Kopfgeburt fabriziert sondern mit Herz, Gefühl und Schmerz versucht, das eigene Leben und Erleben auch mit dem Kopf und wissenschaftlicher Methodik zu erfassen.

Max Frisch hat einmal gesagt “Der Mensch lebt den Widerspruch und zersetzt damit jede Ideologie.”

Das finde ich hier wieder.

Diese Mischung aus wissenschaftlicher Methodik und Menschsein zeigt die Grenzen der Wissenschaft und mündet in dem Versuch einer Verortung von Transformation, wenn man unter diesen Bedingungen leben muß.

Man kommt nicht ganz raus, man will nicht ganz rein und es gibt keine Formel, die alles besser macht.

Denn es geht um Macht und Herrschaft.

So ist das Buch von Silvia Weißengruber eine gute Anregung für Menschen, die die Welt mit Intellekt erfassen und spüren, daß es mehr gibt als zu wissen.

Es geht darum zu leben und die Welt zu sehen wie sie ist.

Das gelingt ihr.

Alles danach paßt nicht ins Buch. Da wird jeder Mensch zu seinem eigenen Lebensversuch.

Das Buch ist im Jonas-Verlag erschienen.

Silvia Weißengruber
Arbeit und Kritik
Versuche alternativer Lebenspraktiken im Neoliberalismus
Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie / Band 19
ISBN 978-3-89445-508-8

About Michael Mahlke

Der Autor hat Jura in Köln und Sozialwissenschaften, Geschichte und Pädagogik in Wuppertal studiert. Er war u.a. Leiter einer privaten Wirtschaftsschule und Geschäftsführer einer sozialen Organisation und ehrenamtlicher Richter. Er coachte viele Jahre Menschen, Schwerpunkte waren Übergänge, Arbeit und Alter, Konfliktbewältigung und neue Medien. Er arbeitete als Dokumentarfotograf und Publizist, offline und online, analog und digital.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert