Lust und Last des Alterns von Gerhard Josten (Hg.)

Alter ist das Thema dieser Gesellschaft. Aber das Thema “alternde Gesellschaft” wird so sehr zweckentfremdet, daß es oft weh tut.

Daher tut das Buch von Gerhard Josten doppelt gut.

Er ist Herausgeber einer Sammlung von Texten (Anthologie) und zugleich schreibt er mehrfach selbst in diesem Buch.

Das Buch ist so lebendig wie der Herausgeber. Es sammelt gute Aufsätze, Themen, Gedichte, wissenschaftliche Texte und gibt Hinweise auf viele Fundstellen im Internet mit Angabe der Linkadresse.

Es ist eben ein Buch von heute für Menschen, die sich für das Alter und das Altern interessieren.

Ich habe dieses Buch drei Frauen geliehen. Alle drei legten es nicht weg.

Damit aber nicht genug.

Was Gerhard Josten hier vereint, ist ein Wegweiser zum Umgang mit dem “Alter”, ein Überblick über das Thema und ein wunderbarer literarischer Weg für die, die noch lesen.

Denn es ist ein Buch zum Lesen (was heute nicht mehr selbstverständlich ist) und es kann von vorne bis hinten ohne Lexikon gelesen werden – selbst die wissenschaftlichen Texte.

Cato der Ältere kommt ebenso zu Wort wie Paul B. Baltes oder das Bundesfamilienministerium.

Im Prinzip hat Gerhard Josten es geschafft auf kluge Weise weit mehr als hundert Personen in dem Buch so zu Wort kommen zu lassen, daß es nie langweilig wird und immer neue Blicke mit neuen Wegen möglich sind.

Der Autor weist auf die Flut von Veröffentlichungen zum Thema Alter hin.

Als ich einmal einem 100jährigen zum Geburtstag gratulierte und ihn fragte, ob er froh sei, so alt geworden zu sein, war die Antwort: “Nein.” Als ich fragte warum, war die Antwort: “Weil alle tot sind. Meine Vereine gibt es nicht mehr, meine Freunde sind gestorben und ich bin einfach übriggeblieben.”

Diesen Satz vergesse ich nicht mehr.

Er taucht in abgewandelter Form auch bei Schilderungen in dem Buch auf und weist darauf hin, daß älter werden mehr ist als zu existieren.

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Gerhard Josten gelingt es mit dem Blick eines klugen Menschen ein Buch zu erstellen, das wirklich DER Einstieg zu sich selbst sein kann, wenn man sich persönlich oder politisch die Frage nach dem Alter stellt.

Das Buch zeigt gut, wie man mit dem Alter umgehen kann, wenn man nicht durch die Gesellschaft in totale Armut gestürzt wird, wie dies heute bei immer mehr Jüngeren leider zunehmend der Fall ist.

Da der Autor bewußt sein Buch mit aktuellen Verlinkungen, Themen und Bezügen versieht, soll das Buch sicherlich auch in die aktuelle soziale Wirklichkeit einbezogen werden.

Wenn wir in dem Buch lesen können, daß man um die 50 ein Maximum in seinem Leben erreicht und wir uns dann den aktuellen sozialen Zuständen zuwenden, dann erleben wir, daß immer mehr Menschen über 50 systematisch und politisch gewollt nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die absolute Armut gestürzt werden, weil sie alle ihre Ersparnisse fürs Alter aufbrauchen müssen, bevor sie Hartz 4 erhalten.

Verbunden mit der Erfahrung, daß man über 50 so gut wie nirgendwo eingestellt wird, wächst nun in den nächsten zehn Jahren von Jahr zu Jahr die Zahl von Arbeitslosen in den geburtenstarken Jahrgängen, die keine Chance bekommen,  über 60 selbstbestimmt leben zu können.

“Die Frucht des Greisenalters aber besteht, wie ich schon oft bemerkt habe, in der Erinnerung und im reichen Besitz früher erworbener Güter.”

Dieser Satz von Cato dem Älteren aus dem Buch wird für immer mehr immer unerreichbarer – ab 50 und ab 30, denn so viel sind 20 Jahre nicht.

So ist der Blick auf das Alter zugleich ein Blick auf die Jugend, wenn sie noch alt werden soll.

Jenseits aller Moden finden wir bei Gerhard Josten Texte von Wert und zeitloser Beständigkeit. Diese stehen neben Texten, die mitten aus unserer heutigen Gesellschaft stammen und den Widersprüchen, die zu lösen wären.

Texte von Wert sind auch Gedichte, die durch ihren Vortrag wieder neu leben.

Als ich das Gedicht von Theodor Storm “Die Alten” mehrfach vortrug, war es immer spannend still und bei jeder Strophe war das “Genau”  auf den Lippen zu sehen.

Es ist ein richtig gutes Buch geworden.

Aktiv und offen und ohne kulturelle Vorurteile wurde hier ein umfassendes Panorama zum Thema  zusammengestellt.

Daher ist es heute auch sehr aktuell in einer Gesellschaft, die alles per ISO und normierter Pflege regeln will. Das entscheiden übrigens fast ausschließlich noch nicht Alte und Organisationen, die damit Geld verdienen.

Insofern ist das Buch doppelt gut, weil es da weitermacht, wo die normierten Antworten aufhören.

Abschließen möchte ich mit dem Hinweis, daß der Autor auch Fotos, Grabsteine und Grafiken in seine Sammlung einbezieht und wir so ein wirklich facettenreiches Bild erhalten, das eine andauernde Quelle der Inspiration und der Auseinandersetzung ist.

Das Buch ist im Haag + Herchen Verlag erschienen.

ISBN: 978-​3-​89846-​742-​1

About Michael Mahlke

Der Autor hat Jura in Köln und Sozialwissenschaften, Geschichte und Pädagogik in Wuppertal studiert. Er war u.a. Leiter einer privaten Wirtschaftsschule und Geschäftsführer einer sozialen Organisation und ehrenamtlicher Richter. Er coachte viele Jahre Menschen, Schwerpunkte waren Übergänge, Arbeit und Alter, Konfliktbewältigung und neue Medien. Er arbeitete als Dokumentarfotograf und Publizist, offline und online, analog und digital.

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