Farbe für die Republik

“Ja so war es. So war die Propaganda aber auch ein Teil der Wirklichkeit. Und die Menschen sehen noch normal aus.” Dies waren die klaren Aussagen zu dem Buch “Farbe für die Republik” von Menschen, die in der DDR aufgewachsen waren und dort lebten.

Das Buch ist aber mehr. Es zeigt auch, daß ein Staat, der sich als Arbeitsgesellschaft versteht, mehr für die Menschen tun muß, als sie arbeiten zu lassen.

Und deshalb waren die Antworten, die ich als Reaktion auf das Buch bekam, sehr bezeichnend: “Wir konnten als Frauen unsere Kinder mitnehmen zur Arbeit, wenn ein Kind krank war. Es gab dort eine Einrichtung.” Oder: “Wir konnten auch im Betrieb einkaufen und mußten nicht nach Feierabend erst irgendwohin fahren.”

Das schmeckt nicht jedem. Heute gehen junge Frauen mit Kindern zum Amt, erhalten viel Geld und müssen erst mal nicht arbeiten. Das ist auch ein Weg. Der ist aber anders. Es ist ein anderes Frauenbild und ein anderes Arbeitsmodell, rein privat orientiert – es sei denn man ist im öffentlichen Dienst.

Man mag es für sozialistische Propaganda halten. Wir sehen in dem Buch aber erstmals fotografisch, was die BRD bis heute nicht bieten kann: einen umfassenden Ansatz, der Arbeit und Leben als zwei Teile des Menschen akzeptiert und integriert. Insofern zeigt das Buch als Spiegel aktueller gesellschaftlicher Zustände mehr als manchem Neoliberalen lieb ist.

Natürlich gab es den Schatten der DDR, Stasi, keine Meinungsfreiheit und keine Reisefreiheit.

Aber es gab auch das, was es heute hier nicht gibt: soziale Absicherung statt etwas Geld, Gemeinschaftsdenken statt Selfietum, öffentliche soziale Einrichtungen überall statt punktueller privater Ansätze.

Man kann das nicht aufrechnen aber man kann versuchen, blinde Flecken transparent zu machen.

Und vor allem zeigen die Fotos bei aller Propaganda und bei gewaschenen Kitteln auch echte Menschen an echten Orten. Bei uns darf man ja heute fast nur noch mit Schauspielern Imagefotos machen.

Erstmals werden Farbfotografien der beiden DDR-Bildjournalisten Martin Schmidt und Kurt Schwarzer aus dem Bestand des Deutschen Historischen Museums der Öffentlichkeit präsentiert. Ihr fotografisches Werk beeindruckt durch Qualität und Vielfalt: Es umfasst ein breites Themenspektrum aus vier Jahrzehnten DDR. Unter den jeweils etwa 50 000 Negativen befinden sich auch zahlreiche Farbaufnahmen, von denen mehr als 300 Fotografien für diesen Bildband ausgewählt wurden.

Martin Schmidt und Kurt Schwarzer gehörten als freischaffende Bildjournalisten zu einer seltenen Berufsgruppe in der DDR: Ihre Reportagen entstanden im Auftrag verschiedener Zeitschriften, darunter auch Magazine der DDR-Auslandspropaganda. Werbefotos für VEBs, Produkte, Messen und Kochbücher belegen die Vielfalt ihres Schaffens. Mit der Kamera besuchten sie Betriebe und LPGs, Kindergärten und Altenheime, berichteten vom Leben der Frauen in der DDR und dokumentierten neben anderen Großstädten auch das moderne Berlin. Ihrem Auftrag folgend, zeigten sie Facetten eines erfüllten Arbeits- und Lebensalltags im Sozialismus.

Wenn Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, sagt: “Dieser Bildband zeigt auf vielfältige und einsichtsvolle Art die Inszenierung des Alltags in der DDR”, dann war diese Inszenierung vielfach noch ehrlicher als das, was wir heute sehen.

Insofern ist dieses Buch sehr vielschichtig und ist mittlerweile auch ein echtes Geschichtsbuch.

Es handelt sich natürlich um Auftragsfotografie – aber vielfach vor Ort.

Man sieht alles, was die DDR zu bieten hatte von der realen und schön geputzten Seite. Aber man sieht echte Menschen und echte Träume.

Wenn man dies neben die Auftragsfotografie von heute hält, wo man nur noch die fitten Alten zeigt, die länger arbeiten sollen und die schönen Jungen, dann vergißt man z.B. die wachsende Einsamkeit wegen fehlender sozialer Strukturen heute, die wachsende Armut und die Kluft zwischen den werktätigen Armen und den nicht arbeitenden Reichen heute ebenso wie wachsende Drogenprobleme und vieles mehr.

Immerhin hat in Deutschland heute die Politik beschlossen, daß jemand, der mehr als 30 Jahre sozialversicherungspflichtig arbeitet davon nicht mehr im Alter leben können darf, weil er/sie  – ohne daß es dafür Arbeitsplätze gibt – bis 67 arbeiten soll und wenn man vorher in die Rente gezwungen wird, dann entweder verarmt ist oder über 10 Prozent noch mal abgezogen bekommt. Das war in der DDR anders. Vielleicht gibt es bald eine Fotoausstellung über werktätige Arme im heutigen Deutschland – Fotografie auf realer Grundlage. Auch das wäre eine Inspiration dieses Buches.

So regt das Buch auch dazu an, über Propaganda und Wirklichkeit nachzudenken.

Gerade durch die Spiegelfunktion zur heutigen Situation ist es eine ganz besondere Arbeit, die man nicht hoch genug einschätzen kann.

Das Buch ist bei Bastei Lübbe erschienen.

 

About Michael Mahlke

Der Autor hat Jura in Köln und Sozialwissenschaften, Geschichte und Pädagogik in Wuppertal studiert. Er war u.a. Leiter einer privaten Wirtschaftsschule und Geschäftsführer einer sozialen Organisation und ehrenamtlicher Richter. Er coachte viele Jahre Menschen, Schwerpunkte waren Übergänge, Arbeit und Alter, Konfliktbewältigung und neue Medien. Er arbeitete als Dokumentarfotograf und Publizist, offline und online, analog und digital.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert